Dr. Brigitte Hammer
Binden und Lösen
oder von der poetischen Wandlung
Gedanken zum "Prozess Honigtuch - Trust"
von J.Georg Brandt
Nun liegen sie vor mir ausgebreitet, die Fotografien, die die "Gerinnungsaktie 92", eines der zum "Prozess Honigtuch - Trust" gehörenden Multiples von verschiedenen Seitenund unterschiedlichen Hintergründen zeigen und eine Aura des Geheimnisvollen und Rätselhaften vermitteln. Meine Augen streifen über die in die Fläche gebannte Form, die an eine in einen Kokon versponnene Raupe erinnert und gewinnen eine Ahnung von den von den eingebundenen energetischen Kräften, die ihr Stadium der Wandlung erwarten. Der gefaltete weisse Stoff, die deutlich sichtbaren sechseckigen Grate der Waben der gerollten Wachsplatte, die hellgrauen Flecken und Schrunden im blauschwarzen Bleikörper - geformte Materialien, die im Objekt zusammengefügt sind, gehalten durch die sich kreuzenden Linien der verknoteten Hanfschnur, diese Spur einer Hand, einer menschlichen Wahrheit, einer Seelenlage, einer Idee ... Voltaire fällt mir ein und seine Antwort auf die Frage: "Was ist Esprit?" - "Bald eine neuartige Vergleichung, bald eine scharfsinnige Andeutung; hier der berückende Gebrauch eines Wortes, das man in einem anderen Sinn verwendet, als man es verstanden haben will; dort ein witziger Bezug zwischen zwei ungewöhnlichen Dingen; eine ausgefallene Metapher, das Herausschälen dessen, was eine Sache nicht dem ersten Blick offenbart, aber dennoch enthält; die Kunst, zwei weit voneinander entfernte Dinge zu vereinen ..." J.Georg Brandt, der Urheber des verschnürten Päckchens und Vertreter einer kommunikativ ambitionierten Kunstpraxis, hat drei weit voneinander entfernte Dinge (Tuch, Wachs, Blei) vereint und zunächst entzünden sich die Gedanken an dieser Materialwahl und ihren symbolhaften Implikationen. Dabei fällt als erste Gemeinsamkeit auf, dass alle drei Materialien durch eine ihnen je eigene Art von Weichheit und spezifischer Formbarkeit ausgezeichnet sind und und sie sich einfach und ohne besondere Hilfsmittel verändern lassen. Tuch und Wachs können sich schon durch die Einwirkung von Körperwärme verformen lassen, am Blei kann schon ein Fingernagel Markierungen eindrücken. So unterstreicht der Künstler durch die Wahl seiner Mittel sein kommunikatives Anliegen, indem er es den Vormündern seiner Objekte ermöglicht, leicht Veränderungen herbeizuführen, aber auch unbeabsichtigte Spuren ihrer neunmonatigen Patenschaft zu hinterlassen. Die aus dem St. Marien Krankenhaus stammenden, in rechteckige Fetzen gerissenen Bettlaken sind einer profanen Alltagsphäre entnommen. Mit dem Aufdruck des Wortes "gerinnungsaktie" in roter Stempelfarbe erhält das Tuchfragment jedoch eine symbolische Aufladung, die die ganze Sphäre von blutigem Leiden auffächert. Das emotionale Assoziationsfeld, das sich daraus erschließt und das das anonyme Leiden eines unbekannten Kranken ebenso einschließt wie das zum Beispiel im "Turiner Grabtuch" manifestierte Martyrium Christi, wird durch den sachlich wirkenden Begriff "gerinnungsaktie" unter nüchterner Spannung gehalten und gleichzeitig gebrochen, da der Wortteil "-aktie" die Verbindung zu Wirtschaft und Geldwelt mit ihren Parametern Konsum und Kommerz herstellt. Der Begriff "gerinnungsaktie" erweist sich insofern als durchaus ambivalent und mit ausdrücklich kritischer Konnotation, was sich auch für den gesamten Prozess als charakteristisch erweist. Mit Wachs und Blei wählt der Künstler zwei Substanzen, die zu den ältesten der Kulturgeschichte gehören und eröffnet damit ein außerordentlich weites geistiges Bezugsfeld. Die Honigbiene ist in Europa und Asien schon seit dem Tertiär verbreitet, die Bienenzucht seit dem 3. vorchristlichen Jahrtausend für China und Ägypten belegt. Wachs und andere Bienenprodukte spielen eine wesentliche Rolle bei der Konservierung von Mumien, in der Heilkunst und Kosmetik. Bienen sind als "Vögel der Musen" mit Kunstsinn begabt und gelten als tapfer, keusch, fleissig und sauber. Im christlichen Mittelalter tauchen Bienen als Symbol für die jungfräuliche Maria auf und Wachs als Opfergabe ist seit dem 10. Jahrhundert belegt. Blei ist das am längsten bekannte Metall der Kulturgeschichte und wurde schon in der vorklassischen Antike als Beschreibmaterial verwandt. Außerdem wurden ihm Zauberkräfte zugeschrieben und es diente zum Beispiel im Heldenmythos als Mittel zur Vernichtung des Ungeheuers Chimaira (Chimäre). Eine wichtige rolle spielte das Blei in der Alchemie wo es als Ausgangssubstanz für die "Transmutation" (der Verwandlung von unedlem Metall in Gold) verwendet wurde. Die Verbindung von geschmolzenem Blei und dem "Stein der Weisen", die die Umwandlung in Gold ermöglicht, gilt als Sinnbild der Läuterung des erdhaft-materiellen Menschen zur sonnenhaften Spiritualität. Die Transmutationsprozesse der Alchemie bewirken da, wo sie nicht nur als gierige Goldsuche, sondern als synthetisches Konzept der Naturerforschung betrieben werden, die eine intensive Verquickung von persönlichem Erleben, experimenteller Erfahrung, metaphysischer Einsicht und intuitiver Erkenntnis bedingt, eine stufenweise Reifung und Läuterung, die von einer Heilung der Krankheiten des menschlichen Leibes begleitet wird. Voraussetzung für solche Wandlungen ist die Zerstückelung als Tod der Materie, der einer Wiederauferstehung als neue Form vorausgeht. Im Licht dieser Überlegungen erscheint der "Prozess Honigtuch Trust" als alchimistisches Ritual in zeitgenössischer Begrifflichkeit, werden die Vormünder der Objekte und Mitglieder des Trustes zu eingeweihten Teilnehmern, die an einem Schöpfungsakt partizipieren. Dass die Paten die Objekte neun Monate in ihrem Besitz halten dürfen, bevor das neue Kunstwerk hergestellt wird, unterstreicht und betont die Betrachtung als "Geburtsvorgang". Der Künstler versteht sich in seinen Selbstzeugnissen als ein in höherem Auftrag Handelnder, als einer, der die verborgenen Energien und Kräfte zur sichtbaren Erscheinung trägt. Doch denke ich, dass er seine Rolle als Initiator von Kommunikationsakten dabei als zu gering einschätzt. Was immer die Vormünder mit und aus seinen Objekten "gemacht" haben mögen, sie verwirklichen seine Idee und in der Zusammenstellung der Tuchfragmente, der Bearbeitung mit dem Wachs und der Umformung von einhundert minus x Bleibarren zu einem skulpturalen Objekt kommen seine künstlerischen Entscheidungen wesentlich zur Ausformung und in eine dauerhafte Sichtbarkeit. Und da wird dann die alchimistische zu einer poetischen Wandlung. Berlin, im Mai 2001 Dr. Brigitte Hammer
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